Wenn es in der Mulackstraße Nacht wird, bleiben die Menschen zu Hause. Denn die Straßen sind stockdunkel und in den finsteren Ecken lauern viele Gefahren. Doch ein Mann arbeitet gegen die Dunkelheit an. Friedrich Winzer ist Gaslaternenanzünder. Jeden Abend geht er seine Route ab und bringt das Licht zu den Menschen.
Aber heute ist Friedrich Winzer nervös. Hat er den Wasserhahn abgestellt? Seine Frau weiß, wie wichtig das für ihn ist. Bestimmt hat sie nachgesehen. Friedrich Winzer dreht trotzdem um. Er beschleunigt seine Schritte, rennt fast, bis er am IMMER&TREU ankommt. Natürlich hat er einen Schlüssel, aber er klopft trotzdem genau dreimal schnell hintereinander an die Wohnungstür, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckt und eintritt. Seine Frau sieht nur milde überrascht von ihrer Näharbeit auf. Sie kennt ihren Mann besser als irgendjemand sonst und weiß, was Friedrich umtreibt. Nervös nestelt er am Wasserhahn herum, er ist abgedreht. Friedrich Winzer wartet noch ein paar Minuten, langsam zählt er bis 200, sicherheitshalber. Es ist alles in Ordnung. Noch einmal kontrolliert er penibel seine Ausrüstung, der lange Zündstab, der kleine Holztritt, alles da. Um Punkt 17:00 Uhr müssen die ersten Laternen brennen. Keine Sekunde früher, keine Sekunde später. Erleichtert küsst er seine Frau: einmal rechts, einmal links, einmal rechts und macht sich eilig auf den Weg zur Arbeit.
Friedrich Winzer kommt an seiner ersten Laterne an. Sie heißt Anna, nur für ihn. Jede seiner 125 Laternen hat einen eigenen Namen und ihre Eigenheiten, er liebt sie alle gleichermaßen. Zügig arbeitet er sich voran. Bei Nummer 62, Eileen, muss er besonders vorsichtig sein, wenn er den Glühstrumpf anzündet. Die Gaze entflammt viel schneller als bei den anderen Laternen. Bestimmt war die Mischung der letzten Lieferung Brennflüssigkeit leicht verändert. So etwas macht Friedrich Winzer verrückt. Denn in seinem Beruf kommt es auf die Details an, die Balance muss ganz genau stimmen. Eileen brennt hell und taucht die Straße in ihr warmes Licht. Friedrich ist zufrieden und klettert nach unten. Genau 50 Schritte bis zur nächsten Leuchte. Leise zählt er Schritt für Schritt mit. Nach 6250 Schritten strahlt das Scheunenviertel wie die aufgehende Sonne. Und Friedrich Winzer kann nach Hause gehen. Heute ist alles perfekt. Er freut sich auf seine Frau und vergisst, die
Schritte nach Hause mitzuzählen. Doch heute ist ihm das ganz egal.