NR. 6

Berlin, Dir bin ich immer treu.

Die ganze Stadt ist ihre Inspiration und Babette liebt sie dafür.

Berlin, Steinstraße 21, 1995. Babette wälzt sich aus dem Bett und versucht halbherzig ihre strohblonden Haare zu kämmen. Schon seit Ende der 1980er wohnt sie hier im Scheunenviertel, die Miete wurde nie erhöht. Unter der Dusche plant sie ihren heutigen Trip durch Berlin. Ihre Fingerspitzen sind, wie immer, fleckig. Die verdammte Farbe geht nicht ab. Sie schlüpft in ein leichtes Kleid und schwere Stiefel, die Stadt flirrt in der Sommerhitze. Schnell stürzt sie einen Kaffee runter, schnappt sich ihren Rucksack mit dem alten Federmäppchen und ihren Stiften und zieht los.


Die ganze Stadt ist ihre Inspiration und Babette liebt sie dafür. Mitte kennt sie längst wie ihre Westentasche. In den Neunzigern ist es hier dynamisch, wild, voller Kontraste und in ständiger Veränderung – der perfekte Ort für eine Künstlerin wie sie. Sie fühlt sich zu Hause inmitten der vibrierenden Subkultur, liebt die Partys im alten Bananenbunker und die vielen Konzerte im Viertel. Babette zieht kreuz und quer durch die Kieze und hinterlässt kleine Liebeserklärungen an die Stadt, ob großflächig an Schaufenstern, winzig klein auf Zebrastreifen und Laternenmasten oder auch mal versteckt in einem Eierkarton im Supermarkt: „Wenn die Welt untergeht, möchte ich mit Dir meinen letzten Pfeffi trinken“. Einem alten Trabbi steckt sie einen Zettel unter den Scheibenwischer „Ohne Dich ist mein Leben so langweilig wie Rudow“, auf einen fleckigen Bahnsitz kritzelt sie „Für Dich fahr ich ohne Kopfhörer U-Bahn“. An den ungewöhnlichsten Orten findet man Babettes Nachrichten, unverkennbar in Knallpink, mal charmant, mal bitterböse: „Du bist so wertvoll wie zwei Zimmer Altbau unter 500 Mark warm“. Nur echte Berliner können die kryptischen Botschaften interpretieren, doch sie sprechen sich schnell herum.
„Hast du gesehen? Am Brandenburger Tor? ‚Spandau, Du bist mein Vorhof zur Herzkammer‘ – wahrscheinlich eher Vorhof zur Hölle! Haha!“


In einem alten Kaufhaus, das die Berliner Kunstszene gerade besetzt und auf den Namen „Tacheles“ getauft hat, sprechen alle darüber, wo die neueste Nachricht von Babette gesichtet wurde. Angeblich sogar am Alexanderplatz, doch die Botschaft war offenbar schnell übermalt worden. Einer behauptet, dort hätte gestanden „Mein Erstgeborenes heißt Alex“, ein anderer sagt, es wäre „Alex, mach mir ein Baby“ gewesen. Nur Babette weiß, was dort wirklich geschrieben stand. Als sie nach ihrer Tour atemlos vom Takt der Stadt und mit pinker Farbe verschmiert nach Hause ins IMMER&TREU kommt, ist sie noch nicht ganz fertig. Nicht unbemerkt von den Nachbarn hinterlässt sie an der hohen Wand im Hof die ultimative Liebeserklärung: „Berlin, Dir bin ich immer treu“.

    KONTAKT

    building-sketch