NR. 5

Schweinebäuche unter unseren Füßen.

Am nächsten Tag würden sie mit der Einfahrt beginnen. Sie musste etwas ganz Besonderes werden.

In der Steinstraße ist es dreckig. Auch nicht mehr als sonst, aber der Architekt Hermann Dörfel rümpft trotzdem die Nase. In den großen Metropolen wie Paris oder London gibt es längst Trottoirs statt der üblichen Trittsteine. In der Steinstraße muss man schnell wie eine Ratte über die Straße huschen, um den Pferden auszuweichen und steht dabei bis zu den Knien im Dreck. Aber Berlin ist eben auf Sand gebaut, wie der Maurermeister nur zu gut weiß. Hier hält und steht nichts einfach so, auch kein Gehweg. Der schwimmende Untergrund macht ihm seinen Beruf schwer. Über Kollegen hat er von so manchem Haus gehört, das nach ein paar heftigen Regengüssen einfach in sich zusammengefallen ist.


Er sieht sich auf dem Grundstück in der schmalen Mulackstraße um. Hier würden er und seine Frau glücklich werden. Jahrzehntelang hat er jede freie Minute auf Baustellen gestanden. Das sollte seine letzte werden. Er und seine Elfriede
würden selbst einziehen, das war fest mit seinem Auftraggeber vereinbart.


Dörfel trifft heute seine Mannschaft, bespricht die Materialbestellung und die nächsten Schritte mit dem bunt zusammengewürfelten Haufen aus Auszubildenden, ungelernten Helfern und erfahrenen Meistern. Er schickt einige der Lehrlinge mit der Liste los. Sie sollen Holz für den Torbogen, Werkzeuge und fünfzig Schweinebäuche zur Baustelle liefern. Am nächsten Tag würden sie mit der Einfahrt beginnen. Sie musste etwas ganz Besonderes werden.


Um fünf Uhr kommt Dörfel am nächsten Tag beim IMMER&TREU an. Die fleißigen Lehrlinge hatten Holz und Werkzeug ordentlich aufgereiht. Als Dörfels Blick prüfend wandert, stutzt er plötzlich. „Hey du! Wo sind die Schweinebäuche?“, fährt er einen Lehrling an. „Die hat Tobi.“ Inmitten der Geschäftigkeit macht er Tobias aus, einen Jungen aus dem Scheunenviertel, kaum 16 Jahre alt und nicht die hellste Kerze auf dem Leuchter. Tobias schleppt eilfertig eine große, braune Tüte heran. Dörfel schaut verdutzt. Eingeschlagen in Papier stecken darin 50 Kilo Schweinebauch.


Dörfel möchte an die Decke gehen, doch er beherrscht sich. Der Lehrling hatte natürlich keine Ahnung, was er mit Schweinebäuchen gemeint hatte, denn die Gehwegplatten verwendete man höchstens im Straßenbau. Dörfel bricht in schallendes Gelächter aus. Er weist Tobias an, ein großes Feuer aufzuschichten und verpflegt die ganze Mannschaft mit Frischgebratenem. Am Feuer erklärt Dörfel, dass die Berliner Schweinebäuche große Granitplatten sind, die nach unten hin gewölbt sind – wie Bäuche –, um auf dem Berliner Sandboden ein festes, elegantes Pflaster zu bilden. Die Baumannschaft johlt und kichert, sie hat dank des Missverständnisses die beste Mahlzeit seit Langem. Mit doppelt so viel Kraft machen sie sich wieder an die Arbeit. Schnell sind die Platten beschafft, die, oben ganz glatt poliert, geräuschlos schwere Kutschen tragen und, unten roh und naturbelassen, guten Griff im Sand finden. Immer wenn die Sonne auf die ebene Oberfläche scheint, glänzen die Platten golden im Licht. Bis heute.

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